Rede von Viktor Orbán anlässlich der Unterzeichnung der strategischen Partnerschaftsvereinbarung mit der Daimler AG.

Ich wünsche Ihnen einen schönen guten Tag! Ich begrüße Sie recht herzlich!

Insbesondere begrüße ich die Vorgesetzten, Mitarbeiter und Ingenieure aus dem Werk Kecskemét ganz herzlich. Im Allgemeinen pflegen Politiker in diesem Hause sich aufzuhalten, doch es schadet nichts, wenn wir manchmal auch Leute von ganz anderen Gebieten und aus der Praxis zu Gast haben. Das erinnert uns stets daran, dass Politik zwar eine schöne Sache ist, man davon jedoch nicht leben kann. Es muss nämlich jemand auch die Wirtschaft ankurbeln, was vor allem in Form von Produktionswerken geht. Diese werden von Ingenieuren, Arbeitern und Vorgesetzten am Leben gehalten, weshalb wir hocherfreut sind, bei der Unterzeichnung dieser Vereinbarung nicht nur den zweiten Mann von der Spitze der Daimler AG aus Deutschland begrüßen zu dürfen, sondern gleichzeitig auch die tatsächlichen Führungspersonen aus dem Werk in Kecskemét. Vielen Dank, dass Sie gekommen sind!

Ich habe mir verschiedene Notizen gemacht, während Herr Vizepräsident Jäger seine Rede gehalten hatte, und versuche nun diese so aneinanderzureihen, dass kein einziger Gedanke verloren geht. An erster Stelle möchte ich erwähnen, dass die Vereinbarung zwischen Daimler und der ungarischen Regierung selbstverständlich nicht unabhängig von den deutsch-ungarischen Beziehungen zu betrachten ist. Dies trifft auch dann zu, wenn die Daimler AG ansonsten ein globaler Konzern ist. Die Vereinbarung, die wir gleich unterschreiben werden, ist aus dem Gedanken hervorgegangen, dass die Regierung ihrer Auffassung nach in den kommenden Jahrzehnten nicht nur mit Regierungen Vereinbarungen treffen sollte, sondern nun eine Epoche beginnt, in der Regierungen generell auch mit globalen Konzernen zusammenarbeiten müssen. Und zwar mit denen es geht, mit den globalen Konzernen nämlich, die wohl in die ungarische Wirtschaftsstruktur eingebettet sind, bzw. in deren globaler Welt Ungarn gut eingegliedert ist. Es wird ein weltweites Rennen um Kooperationen geben, und zwar werden in den kommenden fünfzehn bis zwanzig Jahren Länder miteinander um die Gunst der künftig wettbewerbsfähigen großen globalen Konzerne ringen, um bestmögliche Kontakte mit diesem oder jenen herzustellen. Dass Ungarn nun diesen Weg eingeschlagen hat, bedeutet meines Erachtens einen Wettbewerbsvorteil für das Land, weil wir vielen Anderen vielleicht ein wenig voraus sind. Aus diesem Grund ist es sehr wichtig für uns, den Prozess der strategischen Kooperationsvereinbarungen zu Ende zu führen, um letztendlich klarzustellen, dass Ungarn nicht nur im politischen Leben Freunde hat, ihm gegenüber freundschaftlich stehende oder freundschaftliche Beziehungen hegende Länder existieren, sondern es auch unter den hervorragenden Akteuren der globalen Weltwirtschaft einige gibt, die für Ungarn aufgrund der abgeschlossenen strategischen Vereinbarungen mit Grund als Freunde und in der zukünftigen Kooperation als Verbündete gelten können. Aus diesem Grund ist es uns so wichtig, dass die Daimler AG in dieser Serie der strategischen Vereinbarungen eine vornehme Stellung einnimmt. Denn ein jeder weiß, wer sich auch nur ein bisschen Weltwirtschaftsthemen annimmt, dass Daimler selbst einer der globalen Konzerne ist, von denen man meint, dass sie eine Zukunft haben. Das war der erste Gedanke, den ich Ihnen vermitteln wollte.

Und nun zur Dimension Verbindung zu Deutschland. Deutsch-ungarische Beziehungen können auf eine eigenartige Historie zurückblicken, und haben ihre eigene Psychologie. All dies möchte ich jetzt nicht ausführlich erläutern. Erlauben Sie mir nur eines in Erinnerung zu rufen, was ich sogar selbst – zwar noch als Kind – erlebt hatte, dass Ostdeutsche und Westdeutsche zum Balaton gereist sind, um sich dort zu treffen, und die Deutschen sehr dankbar dafür waren, dass wir sogar in Zeiten des Kommunismus ermöglichen konnten, für je ein Wochenende oder einen Sommer am Balaton in Ordnung zu bringen, was die Weltgeschichte zerstört hatte. Und dann kam der Fall des eisernen Vorhanges, wobei Ungarn eine ziemlich wichtige Rolle gespielt hatte, indem es Flüchtlinge entkommen ließ. Das erzählen unsere deutschen Freunde immer wieder. Deutsch–ungarische Beziehungen haben also sogar in der jüngsten Vergangenheit geschichtliche Hintergründe, doch dazu muss man heute sagen: Das ist die Vergangenheit, und davon kann man nicht leben. Demnach stellt sich die Frage: Ist Ungarn imstande, eine zukunftsorientierte Beziehung zu Deutschland auszubauen? Der besondere Charakter deutsch-ungarischer Beziehungen darf doch nicht dort aufhören, dass an diese geschichtlichen Momente erinnert wird, und statt über die Zukunft eher über die Vergangenheit gesprochen wird. Aus diesem Grund war ich immer schon der deutsch–ungarischen Kooperation verbunden, es ist mir auch persönlich sehr wichtig, dass Ungarn eine klare Vorstellung darüber hat, wie die zukunftsorientierten deutsch-ungarischen Beziehungen der kommenden Jahrzehnte aussehen sollen. Die nicht ausschließlich aus der Vergangenheit schöpfen, sondern auch die Gegenwart als Quelle betrachten.

Die aus der Gegenwart gespeisten modernen deutsch–ungarischen Beziehungen sollen auf dieser Vereinbarung aufbauen, die wir heute schließen: Heute bereits knüpft Ungarn an die deutsche Industrie an, und ist die deutsche Industrie mit Ungarn verbunden, denn es sind bereits Technologien und Kapital nach Ungarn gebracht worden, es gibt sogar eine Teilnahme an der Berufsausbildung, der technische Stand der ungarischen Wirtschaft und die Qualität des Humankapitals wird erhöht, und somit ermöglicht, dass sich Ungarn der bestmöglichen Technologie von Weltniveau anschließt, und nebenbei auch die Investoren gut davon kommen, denn es werden in Ungarn Gewinne erzielt werden können. Dies ist eine „Win-win”-Situation, an der sowohl Ungarn als auch Deutsche interessiert sind. Damit möchte ich lediglich sagen, dass deutsch–ungarische Beziehungen über die Vergangenheit hinausgehend  sogar durch Quellen, Koppelmittel, Zement zusammengehalten werden, die aus der Sicht der Zukunft interpretierbar sind. Es handelt sich um das Auftreten und nachhaltige Dasein der deutschen Maschinenbauindustrie in Ungarn, und die Rolle, die Deutschland in der Modernisierung der ungarischen Wirtschaft spielt. Es ist kein Zufall, dass das ungarische Wirtschaftsmodell, dessen Aufbau wir nach dem Regierungswechsel in Angriff genommen haben, fast fehlerfrei an die deutsche Wirtschaft angekoppelt werden kann. Nur zwei Dinge möchte ich an dieser Stelle über das ungarische Modell sagen. Erstens soll das eine Wirtschaft sein, die auf Arbeit baut. Das Wesentliche dabei ist, dass es genügend Arbeit gibt, und womöglich auf dem höchsten technologischen Niveau des Weltwirtschaftswettbewerbes Arbeitsmöglichkeiten geschaffen werden. In diesem Sinne tut uns die Zusammenarbeit mit Daimler außerordentlich gut, andererseits blicken wir auf die Industrieproduktion auch langfristig als Rückgrat der ungarischen Volkswirtschaft.

An dieser Stelle sollte ich in einigen Worten erläutern, dass die Möglichkeit dieser strategischen Vereinbarung daher rührt, dass Daimler und Ungarn denselben Gedanken über die Zukunft Europas hegen. Aktuell sieht die Lage folgendermaßen aus: Im Gespräch mit dem Herrn Vizepräsidenten haben wir soeben in Erinnerung gerufen, was noch vor ungefähr zehn Jahren in der europäischen Wirtschaftspolitik in Mode war, als ich das erste Mal Ministerpräsident gewesen bin. Dementsprechend konnte ich eigene Erinnerungen einbringen, worüber man in der europäischen Wirtschaft vor zehn Jahren gesprochen hatte. Denn nicht in der Industrieproduktion hatte man damals die Zukunft gesehen. Verfügte man über Geld, hatte man es nicht in die Industrie stecken sollen, sondern in den Finanzsektor damit  einsteigen, wenn man gute Zinsen erzielen wollte, hatte man sich in Richtung Dienstleistungssektor orientieren sollen. Es ist diese Denkweise gewesen, die damals in Europa in Mode war. Doch meines Erachtens ist das vorbei. Diese Modewelle ist abgelaufen, und nun sind die Unternehmen im Kommen, und der Gedanke beginnt heranzuwachsen, dass die Zukunft Europas nicht ohne beachtlicher Industrie- und Produktionskapazitäten vorstellbar ist. Auch wir Ungarn sind dieser Auffassung, die ungarische Regierung ist ebenfalls der Ansicht, und übrigens auch die Deutschen, insbesondere diejenigen, die am tatsächlichen Betrieb derartiger Produktionswerke beteiligt sind. Demnach sind beide Parteien davon überzeugt, dass Europa industrielle Produktionszentren braucht, wenn man wettbewerbsfähig bleiben will; Und Ungarn könnte anhand der deutsch–ungarischen Kooperation ein modernes, auf lange Sicht zuverlässige Erträge produzierendes, industrielles Produktionszentrum werden.

Anschließend erlauben Sie mir, auch einige Worte zur Stadt Kecskemét zu sagen. Vorerst glaube ich, dass die Bürger Ungarns den Kecskeméter Menschen, und dem Bürgermeister der Stadt Kecskemét Dank schuldig sind. Denn zur Umsetzung dieser Investition, und der heutigen Unterzeichnung der strategischen Vereinbarung, und der Chance, die Zukunft gemeinsam planen zu können, wie Sie kürzlich darauf hingewiesen haben, Herr Vizepräsident, war es erforderlich gewesen, dass sich eine Stadt bereit erklärt hatte, die Bürde der schweren Aufgaben, die mit der Beheimatung eines derart riesigen globalen Konzerns in Ungarn einhergehen, auf sich zu nehmen. Man hat sich nicht nur bereit erklärt, sondern auch ganze Arbeit geleistet. Und nachdem die deutsch–ungarische Kooperation zustandegekommen war, hat man die Stadt so verwaltet, dass die Deutschen, die hergekommen sind, sogar ihre Zukunft hier planen wollen. Zu diesem Erfolg hat der Bürgermeister der Stadt Kecskemét persönlich ebenso viel beigetragen, wie auch die einzelnen Einwohner der Stadt. Wenn die Daimler AG nämlich beschließt, längerfristig in Ungarn zu bleiben, wird für die Entscheidung wichtig sein, ob man sie in Kecskemét aufgenommen hat, die Kecskeméter die deutschen Ingenieure samt ihrer Familien willkommen geheißen haben, und die Familien der deutschen Mitarbeiter sich hier wie zu Hause fühlen. Das liegt größtenteils an den Einwohnern und den Verwaltungsmitarbeitern der Stadt. Meines Erachtens hat die Stadt Kecskemét – natürlich darüber hinaus, dass man dadurch, dass dieses riesige Werk dort entstanden ist, selbst auf seine Rechnung gekommen ist – für das ganze Land einen Dienst erwiesen, als man sich der Daimler AG, bzw. Mercedes gegenüber als guter Gastgeber gezeigt hat.

Drittens möchte ich Ihnen darstellen, sehr geehrte Damen und Herren, dass ein wichtiger Schauplatz für die Kooperation der deutsch–ungarischen Wirtschaft in der modernen Industrieproduktion gerade die Ebene der Produktionswerke ist. Es mag sehr schön sein, dass die Frau Kanzlerin und ich uns hin und wieder treffen, und der ungarische Außenminister aktuell gerade in Deutschland am Deutsch–Ungarischen Forum zusammen mit dem deutschen Außenminister verschiedene verheißungsvolle Sachen über die Beziehung der beiden Länder sagen. Und genauso wichtig ist es, dass wir nun eine strategische Vereinbarung unterschreiben werden. Dennoch ist am wichtigsten dabei, ob die ungarischen und deutschen Ingenieure im tagtäglichen Leben zusammenarbeiten, und ob deutsche Familien mit den ungarischen Familien kooperieren. Wenn wir es nämlich ernst meinen – und so meint es die ungarische Regierung auch –, dass die deutsche Industrie mit der ungarischen Industrie in der Zukunft immer enger kooperieren wird: Das gelingt uns erst, wenn diese Zusammenarbeit tagtäglich auf der Ebene der Familien und Ingenieure gelebt wird. Und wiederum kommt der Stadt Kecskemét eine sehr wichtige Rolle zu. Aus diesem Grund ist auch die Berufsausbildung von Bedeutung. Ich werde die Gelegenheit nutzen, und tatsächlich umsetzen, worüber wir heute nachmittag miteinander gesprochen haben, dass im Rahmen der Berufsausbildung – worüber sicher ein jeder weiß, welchen Kampf es hier in Ungarn gekostet hatte, bis das neue Ausbildungssystem eingeführt werden konnte –, die nun bereits läuft, möglichst viele praktizierende Ausbilder für kürzere oder längere Zeit aus Deutschland nach Ungarn kommen, um im nachhinein auch Rückmeldungen geben zu können, welche Einzelteile nach der Umsetzung des deutschen Vorbildes in Ungarn noch geändert und verbessert werden könnten. Über die Produktionszusammenarbeit hinausgehend hatten wir noch vor, unter Experten aus der Praxis der ungarischen und deutschen Berufsausbildung ebenfalls eine Zusammenarbeit zu schaffen – hierbei werden wir das Land Baden-Württemberg, bzw. wahrscheinlich auch die Daimler AG um Hilfe bitten. Das ist wichtig für uns. Rufen Sie nun bitte die Diskussionen in Erinnerung, die ich und die Regierung über Monate hinweg geführt hatten, als wir behaupteten, dass das alte Ausbildungssystem den Anforderungen der modernen Weltwirtschaft nicht mehr gewachsen ist, und wir die ungarische Berufsausbildung von Grund auf ändern sollten. Offensichtlich hat es dabei Interessenkonflikte gegeben, doch ist das Interesse der Kinder, besser gesagt der Auszubildenden wichtiger, weshalb, wenn wir auf Weltniveau erwerbsfähige junge Erwachsene erziehen wollen, die Berufsausbildung nicht beim Alten bleiben konnte, und wir begonnen haben, die ungarische Berufsausbildung nach deutschem Muster zu modernisieren. Wir sind zwar weit vorangekommen, doch würden wir noch ergänzend Hilfe erwarten, aber nun nicht mehr auf der Systemebene und in der Gesetzesgebung, sondern viel eher in der praktischen Ausbildungsarbeit.

Sehr geehrte Damen und Herren!

Zuletzt möchte ich Ihnen noch einen Gedanken ausführen. Ungarische Ohren spüren da keinen Unterschied. Herr Vizepräsident hat die Begriffe Daimler und Mercedes wohl voneinander getrennt benutzt. Das ist aus dem Grund von Bedeutung, weil in Kecskemét ein Mercedes-Werk betrieben wird, wir aber diese Vereinbarung mit der Daimler AG unterzeichnen. Das weiß man in Ungarn nicht unbedingt, daher erläutere ich es sicherheitshalber, dass Daimler mehr ist als Mercedes. Offenbar ist Mercedes eines unter den ausschlaggebendsten Marken, den berühmtesten Produkten, Brands usw. des riesigen globalen Konzerns Daimler. Nur: Daimler stellt nicht nur Personenwagen her, es ist ein viel breiteres Industriepektrum. Und die Vereinbarung unterzeichnen wir nun nicht mit Mercedes, sondern mit der Daimler AG – ich wiederhole, mit Daimler, nämlich damit sich weitere Tore auftun, und über Mercedes, das heißt die Herstellung von Personenkraftwagen hinausgehend, auch in den übrigen Industriezweigen Kooperationsmöglichkeiten gesucht werden können. Die strategische Vereinbarung wird demnach nicht mit Mercedes eingegangen, sondern mit der übergeordneten Ebene, der Daimler AG, weshalb die Vereinbarung für Ungarn in der Industrie tatsächlich neuen Möglichkeiten den Weg frei machen wird. Ich bin dem Herrn Vizepräsidenten, und auch den Vorgesetzten des Kecskeméter Werkes sehr dankbar, dass wir  heute die Möglichkeit haben, diese Vereinbarung zu unterschreiben.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!

(Prime Minister’s Office)